Rechtsprechung Diskriminierung und Kündigung

Arbeitsrechtliche Kündigung wegen diskriminierendem Verhalten (Stand November 2024)

Wann kann diskriminierendes Verhalten Grund für eine Kündigung sein?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir wissen, welches Verhalten Arbeitgeber:innen von Ihren Beschäftigten fordern dürfen:

  • Einhaltung der Gesetze
  • Vorgaben über das Weisungsrecht, § 106 GewO

Was können Arbeitgeber:innen über das Weisungsrecht steuern?

  • Art und Inhalt der Arbeitsleistung
  • Ordnung und Verhalten im Betrieb
    • z.B. Nutzung gendergerechte Sprache, bei Verstoß sind arbeitsrechtliche Maßnahmen möglich
    • z.B. diskriminierungsfreies Verhalten (gleichzeitig in Teilen auch gesetzlich geregelt)

Bei Verstoß sind arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Kündigung möglich, immer nach Abwägung im Einzelfall zwischen Meinungsäußerungsfreiheit, Persönlichkeitsrecht und Rücksichtnahmepflicht sowie inhaltliche Prüfung durch Gericht.

Im Folgenden haben wir zunächst die Rechtsprechung zu Kündigungen, die wegen antisemitischer (unten Ziffer 1) und rassistischer Äußerungen (unten Ziffer 2) ausgesprochen wurden zusammengestellt. Diese geben einen Überblick, unter welchen Voraussetzungen diese Kündigungen – sogar fristlos – er folgreich sein können. Im Anschluss daran widmen wir uns der Frage, ob und in welchen Fällen auch außerdienstliche diskriminierende Äußerungen (unten Ziffer 3) Grundlage für eine Kündigung sein können. Hier haben wir Fälle zu Äußerungen bei Facebook und in WhatsApp-Gruppen untersucht und stellen die besonderen Pflichten von sog. Tendenzträger:innen bei privaten Äußerungen vor. Arbeitnehmende von öffentlichen Arbeitgeber:innen unterliegen ebenfalls höheren Anforderungen an ihr Verhalten im privaten Bereich (unten Ziffer 4). Zuletzt stellen wir die Anforderungen an eine Abmahnung (unten Ziffer 5), insbesondere die vorweggenommene (anlasslose) Abmahnung sowie – als letztes Mittel – eine Drückkündigung (unten Ziffer 6) dar.

1. Antisemitische Äußerungen (während des Arbeitsverhältnisses)

a. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.04.2024 – 5 Sa 894/23

Gehobener Redakteur bei der Deutschen Welle veröffentlichte auf verschiedenen Profilen und Accounts Texte, die als antisemitisch eingestuft wurden, und löschte diese nicht, als er bei der Deutschen Welle anfing zu arbeiten.

„Positionspapiere“ der Deutschen Welle: (Ziele, Werte, Verhaltenskodex)

„Als Deutsche Welle stellen wir das Existenzrecht Israels nicht infrage und erlauben dies auch niemand anderem in unserer Berichterstattung. Wir setzen uns gegen Antisemitismus und jegliche Versuche ein, diesen zu verbreiten (…). Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass es keine Kritik an der Politik Israels geben kann. Wir bleiben der Verpflichtung treu, unparteilich und mit einer angemessenen Gewichtung zu berichten (…).“

„Kritik an Israel wird jedoch zu Antisemitismus, wenn sie das Ziel hat, Jüdinnen und Juden als Volk zu verunglimpfen, den jüdischen Glauben und die jüdische Kultur zu diskreditieren oder dem israelischen Staat seine Legitimität abzusprechen. Sie wird darüber hinaus antisemitisch, wenn im Zusammenhang mit Israel antisemitische Bilder, Stereotype oder Adjektive wie ’blutrünstig’ oder ’gierig’ verwendet werden.“

Unabhängig von der Frage, ob die IHRA-Antisemitismus-Definition eine Definition im wissenschaftlichen Sinne darstellen kann, darf sich die Deutsche Welle auf diese Definition, der sich die Bundesregierung mit Kabinettsbeschluss vom 20.9.2017 angeschlossen hat, berufen. Äußerungen, die von ihrem objektiven Sinngehalt her die Voraussetzungen dieser Definition erfüllen, muss sie als für die deutsche Stimme im Ausland zuständige öffentliche Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland nicht dulden (ähnlich Urteil, Rn. 48)

Allgemein gilt:

Nach § 241 II BGB ist jede Partei eines Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Vertragspartner:innen verpflichtet. Arbeitnehmende sind danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen der Arbeitgeber:innen Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten der Arbeitnehmenden werden berechtigte Interessen der Arbeitgeber:innen beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat.

Bei Tendenzträger:innen gilt:

„Der Kläger ist als gehobener Redakteur der Deutschen Welle sogenannter Tendenzträger. Zu solchen gehören Arbeitnehmer, die wie der Kläger unmittelbar für die Berichterstattung und (oder) Meinungs äußerung eines Rundfunkunternehmens tätig sind, also inhaltlich auf die Tendenzverwirklichung Einfluss nehmen, und zwar insbesondere durch eigene Veröffentlichungen oder durch Auswahl und Redigierung der Beiträge anderer (für Zeitungsunternehmen: BAG 19.5.1981 – 1 ABR 39/79, BAGE 35, 289 Rn. 50 = NJW 1982, 846). Entgegen der Auffassung des Klägers ist dabei unerheblich, ob die Tätigkeit als Tendenzträger auf der Grundlage eines freien Mitarbeiterverhältnisses oder eines Arbeitsverhältnis ses erfolgt. § 241 II BGB gilt für beide Rechtsverhältnisse. Die tendenzbezogene Tätigkeit an sich hat für den Dienstgeber die gleiche Bedeutung für seine Interessen als Tendenzunternehmen, wie in seiner Rechtsstellung als Arbeitgeber. Grundsätzlich hat die Stellung als Tendenzträger Auswirkungen auf das vertragliche Pflichtengefüge. Es bestehen gesteigerte Rücksichtnahmepflichten für einen Tendenzträger. Er ist insbesondere verpflichtet, sowohl bei seiner Arbeitsleistung als auch im außerbetrieblichen Bereich nicht gegen die Tendenz, d.h. die grundsätzlichen Zielsetzungen des Unternehmens, zu verstoßen. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Tendenz, insbesondere solchen, bei denen der Tendenz träger offensichtlich und erheblich gegen die der unternehmerischen Betätigung zugrunde liegenden Grundrechts- und Verfassungswerte verstößt und deshalb nicht mit einer entsprechenden Billigung sei ner Handlungen und Äußerungen durch den Tendenzarbeitgeber rechnen kann, kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund auch ohne Abmahnung in Betracht kommen (BAG 23.10.2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 35, 36).“ (Urteil Rn. 44)

„Als Tendenzträger oblag es dem Kläger in besonderem Maße, auf diese Grundsätze der Deutschen Welle sowohl bei seiner Arbeitsleistung, aber auch im außerbetrieblichen Bereich, Rücksicht zu nehmen. Die Gefahr einer Rufschädigung der Deutschen Welle besteht bei Missachtung dieser grundsätzlichen Einstellung der Beklagten auch bei Äußerungen im außerbetrieblichen Bereich, weil sie aufgrund seiner Tätigkeit als Redakteur für die Bekl. mit dieser in Zusammenhang gebracht werden können, selbst wenn vom Kläger bei der Äußerung auf diese Stellung nicht hingewiesen wird.“ (Urteil, Rn. 45)

Zu beachten im Rahmen der Interessenabwägung:

Gibt es im Rahmen der Anhörung der Arbeitnehmenden eine klare Distanzierung vom bisherigen Verhalten, kann die Gefahr einer Wiederholung entfallen (keine negative Prognose) und die Kündigung unwirksam sein.

b. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.06.2023 – 23 Sa 1107/22

Antisemitische Veröffentlichungen in einem Online-Magazin einer gehobenen Redakteurin vor der Zeit des Arbeitsvertrags mit der Deutschen Welle reichten für eine Kündigung nicht aus. Die Redakteurin hatte die Veröffentlichungen nicht auf ihren privaten Profilen und Accounts verlinkt und war ansonsten während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht negativ aufgefallen. Hätte sie die Veröffentlichungen weiterhin auf ihren Accounts verlinkt, dann wäre der Fall voraussichtlich anders zu entscheiden (siehe oben erstes Beispiel).

c. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.01.2020 – 9 Sa 434/19

Hochrangiger Vertriebsmitarbeiter stellte in einem Kundengespräch die nationalsozialistischen Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung infrage und verharmloste diese. Kein Unternehmen muss eine akute Störung von Kundenbeziehungen und eine massive Gefährdung seines guten Rufs hinnehmen.

Hier war eine Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt:

Was machte der Vertriebsmitarbeiter konkret? Eine unaufgeforderte Erklärung während eines Geschäftsessens: Es gebe Beweise, dass die historische Darstellung der Judendeportation im dritten Reich in vielen Punkten „mediengesteuert“ sei und es gebe „Beweise“, dass überhaupt keine Judendeportation stattgefunden habe. Der Vertriebsmitarbeiter berief sich in diesem Zusammenhang auf angeblich manipulierte Fotografien von Eisenbahnschienen, die es zum Zeitpunkt der Deportationen nicht gegeben habe und Gutachten über das Alter der Tinte auf den Tagebüchern von Anne Frank, die nach seinen Erklärungen die Berichte über die Deportation von Juden widerlegten.

„Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72; BAG, Urteil vom 08. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 –, Rn. 19, juris). Darüber haben die Parteien hier im Arbeitsvertrag ausdrücklich die Verpflichtung des Klägers vereinbart, innerhalb und außerhalb seiner Tätigkeit die berechtigten Interessen der Beklagten und der zugehörigen Firmengruppe zu wahren.“

„Hiernach ist der Kläger verpflichtet, im Rahmen dienstlicher Veranstaltungen mit potentiellen Kunden auf Äußerungen zu verzichten, die nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Frage stellen oder verharmlosen. Dies gilt unabhängig davon, welche Äußerungen außerhalb dienstlicher Veranstaltungen von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckt wären. Zu den Aufgaben des Klägers als einem ranghohen Vertriebsmitarbeiter gehört die Pflege regionaler Meinungsbildner, die Betreuung von Netzwerken und die ebenfalls der Bewerbung der Produkte der Beklagten dienende Teilnahme an Kongressen. Mit dieser Arbeitsaufgabe, Verbindungen und Kontakte zu pflegen und die Beklagte positiv darzustellen sind Erklärungen nicht vereinbar, die ohne weiteres erkennbar geeignet sind, Kunden abzuschrecken und einen künftigen Kontakt mit dem Kläger als Repräsentanten der Beklagten zu vermeiden und darüber hinaus den Ruf der Beklagten schädigen. Bei Äußerungen, die nationalsozialistische Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung in Frage oder in Abrede stellen, und dies ohne dass eine Äußerung zu diesen Fragen durch einen Gesprächszusammenhang geboten gewesen wäre, handelt es sich um eine solche Äußerung.“ (Urteil, S. 8)

Es handelt sich um rufschädigende Äußerungen, die ohne weiteres erkennbar geeignet sind, Kunden abzuschrecken und diese zu veranlassen, den künftigen Kontakt mit dem Kläger als Repräsentanten der Beklagten zu vermeiden.

Die Erklärungen des Klägers sind geeignet, Teilnehmende und potentielle Kunden abzuschrecken. Dies insbesondere, wenn es sich nicht um ein von Teilnehmenden aufgebrachtes Thema handelt, sondern durch einen Vertriebsvertreter ungefragt Ausführungen zu angeblich unzutreffenden Annahmen zur Judenverfolgung gemacht werden.

Das Unternehmen wird wahrgenommen als auf der Seite von Verschwörungstheorien aus dem rechten Spektrum stehend.

Es handelt sich hier um eine Pflichtverletzung, deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist, weshalb eine vorherige Abmahnung entbehrlich ist (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 –, BAGE 150, 109-116, Rn. 22).

Dem Kläger musste bekannt sein, dass er in seiner Position Äußerungen zu unterlassen hat, die ohne Veranlassung zu einer Stellungnahme zu solchen Fragen Abläufe der Judenvernichtung im Nationalsozialismus in Frage stellen. Es ist ohne Weiteres erkennbar, dass solche Äußerungen nicht nur im Falle Teilnehmender mit Beziehungen zu Opfern der Judenvernichtung abschreckend wirken und keine Grundlage für eine künftige gute Kontaktpflege bieten können.

2. Rassistische Äußerungen (gegenüber Vorgesetzten, Kolleg:innen und Geschäftspartner:innen)

Angriffe, die im groben Maße unsachlich sind, müssen Arbeitgeber:innen nicht dulden. Insbesondere rassistische Äußerungen sind nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Tragen Arbeitnehmende ihre rassistischen Tendenzen im Betrieb offen zur Schau, indem sie andere Mitarbeitende aufgrund ihrer Herkunft herabwürdigen oder diskriminieren, können Arbeitgeber:innen u.U. sogar zu einer fristlosen Kündigung greifen (ähnlich bei Haufe).

a. LAG Düsseldorf, Urteil vom 10.12.2020 - 5 Sa 231/20):

Facharbeiter Produktion nimmt schwere rassistische und beleidigende Äußerungen gegenüber ausländischen Mitarbeitenden eines Fremdunternehmens vor:

Äußerung im Betrieb zu Kollegen: „Ich habe mir eine Gaskammer gewünscht, diese aber leider nicht bekommen. Hätte ich eine Gaskammer, würde ich sie alle dort reinschicken. Denn weißt du: Türken muss man ins Feuer setzen, in die Gaskammer und dann den Kopf abschlagen.“

Weitere Äußerungen gegenüber Fremdfirmenmitarbeitenden: „Ihr seid alle meine Nigger, meine Untertanen“, „Wenn ich die Lichter ausmache, haue ich Euch allen eine in die Fresse“, „Guten Morgen, Ölaugen“, „Tschüss Ölaugen“, „Alle deutschen Frauen, die Türken heiraten, sind Schlampen“.

Die Äußerungen stellen eine massive Störung des Betriebsfriedens und einen schwerwiegenden Verstoß gegen die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme dar. Die Arbeitgeberin hat ein berechtigtes Interessen daran, dass kein Mitarbeiter, Fremdfirmenmitarbeiter und Kunde durch das Verhalten ihrer Mitarbeiter in seinen geschützten Rechten verletzt werde.

Rassistische und/oder volksverhetzende sowie ausländerfeindliche Äußerungen eines Arbeitnehmers, die er im Betrieb über Kollegen oder Dritte tätigt, sind an sich geeignet, sogar einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

„Ausländerfeindliche Äußerungen sind nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) gedeckt. Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG). Sie muss stets zurücktreten, wenn die fragliche Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet, weil diese als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist (Gallner/Mestwerdt/Nägele-Zimmermann Kündigungsschutzrecht 7. Auflage 2021 § 1 KSchG Rn. 401). In der Äußerung rassistischer, volksverhetzender oder ausländerfeindlicher Erklärungen liegt ein erheblicher Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Die strafrechtliche Bewertung der diskriminierenden Äußerung ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Eine Abmahnung ist bei ausländerfeindlichem Verhalten am Arbeitsplatz in der Regel entbehrlich (LAG Hamm v. 11.11.1994 – 10 (19) Sa 100/94 - juris; Gallner/Mestwerdt/Nägele Zimmermann § 1 KSchG Rn. 402).“ (Urteil Seite 18)

Interessenabwägung im Einzelfall: Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung sind zu berücksichtigen, u.a.

  • Maß des Vertrauensverlusts
  • wirtschaftliche Folgen
  • Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers
  • mögliche Wiederholungsgefahr
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses
  • störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses

Ein Arbeitnehmer, der auf beleidigende und menschenverachtende Art Arbeitskollegen beschimpft, kann nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber sein solches Verhalten lediglich mit einer Abmahnung ahnden wird. (Urteil S. 23)

Im vorliegenden Fall überwogen auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses von 38 Jahren, das Alter des Arbeitnehmers von 55 Jahren und seine Schwerbehinderung nicht die Interessen der Arbeitgeberin.

b. Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 02.11.2020 - 1 BvR 2727/19)

Diskriminierung eines dunkelhäutigen Kollegen während einer Besprechung mit "Ugah, Ugah" rechtfertigt außerordentliche Kündigung (siehe Beispiel in der Checkliste).

c. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 5.12.2019 – 17 Sa 3/19

Mitarbeiter Qualitätskontrolle: Diskriminierung eines Kollegen per WhatsApp. Ein Mitarbeiter übersandte türkischem Kollegen verschiedene Bilddateien und Texte:

  • Bild mit Moschee: „In Bayern wurde eine Moschee eröffnet, und beim ersten Gebet sind einige Bayern eingedrungen und haben ein paar Schüsse in die Luft geschossen. Ich sende dir die Aufzeichnung, damit du hörst, wie der Prediger sein Gebet geändert hat...", dazu Tondatei mit Schlüssen und Schmerzgeräuschen, die in Jodelgesang übergehen.
  • Bild mit muslimischer Großfamilie: "Viele Muslime nehmen sich eine Zweit- oder Drittfrau und wir Deutschen nehmen uns einen Zweit- oder Drittjob um deren Leben zu finanzieren".
  • Bilddatei mit Überschrift „Wir bauen einen Muslim“, dann vier Bilder mit den Titeln “Hirn raus“, „Scheiße rein“, „Verband rauf“ (Turbanbild) und „Freilassen (Bild von wohl radikalisiertem Islamisten.
  • Sprachnachricht: „„Willst du haben ruhiges Leben, vertraue niemals deinen Kollegen! Arschloch.“
  • Direkte Ansprache: „Dreckstürkenpack“, „du hast deine Tochter wahrscheinlich auch schon jemanden versprochen, so macht ihr Türken das doch“. „Du stinkst“, „Du hässlicher Türke“, „jede Kostenstelle braucht seinen Türken“ und „Ziegenficker“ „Der hat keine Vorhaut, heute gibt’s Vorhautsuppe.“ Und Zeigen des „Stinkefingers“.

Einen die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten.

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen. Eine Äußerung nimmt den Charakter einer Formalbeleidigung oder Schmähung (im Gegensatz zu einer noch erlaubten polemischen Zuspitzung) dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um Schmähkritik. Die Nachrichten richten sich auf eine Missachtung und Herabwürdigung von Menschen mit muslimischer Religionszugehörigkeit.

Bei der Bewertung dieser Nachrichten ist auch zu berücksichtigen, dass diese nicht als Teil einer öffentlichen Debatte über den muslimischen Glauben oder die Gefahren des Islamismus an Herrn K. versandt wurden. Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass er in einem privaten Austausch mit Herrn K. zu solchen Themen gestanden hätte. (Urteil Rn.62)

Ob der erforderliche Bezug zum Arbeitsverhältnis bestand, wäre auch bei einem Konflikt zwischen Arbeitskollegen zumindest dann zweifelhaft, wenn es sich um ein Geschehen im rein privaten Bereich außerhalb des Betriebs gehandelt hätte. Die WhatsApp-Nachricht „Moschee“ ist aber unstreitig während der Arbeitszeit des Klägers und des Herrn K. versandt worden. Die Sprachnachricht „Arschloch“ bezog sich auf das Verhalten des Herrn K. im Betrieb.

Es handelte sich zudem nicht um einen einmaligen Ausrutscher bzw. um spontane Äußerungen in einer direkten Auseinandersetzung.

3. Private Äußerungen als Kündigungsgrund

a. Parteimitgliedschaft

Eine Parteimitgliedschaft reicht regelmäßig nicht als Kündigungsgrund aus (solange Partei nicht verboten ist).

Allerdings müssen Arbeitnehmende im Betrieb insbesondere Provokationen vermeiden. Eine parteipolitische Betätigung in einer Art und Weise, die Kolleg:innen belästigt oder politische Gegner:innen übermäßig provoziert und damit zu einer erheblichen Unruhe in der Belegschaft führt, wäre daher unzulässig. Eine politische Betätigung oder eine sonstige Meinungsäußerung eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin darf auch Geschäftsbeziehungen der Arbeitgeber:innen nicht stören (siehe oben LAG Berlin Brandenburg, antisemitische und nationalsozialistische Äußerungen gegenüber Kunden).

b. Außerdienstliches Verhalten

Außerdienstliches Verhalten ist im Grundsatz frei. Anders kann dies jedoch zu beurteilen sein, wenn Arbeitnehmende durch private politische Betätigungen oder Meinungsäußerungen rechtlich relevante Interessen ihrer Arbeitgeber:innen gefährden. Dies kann ebenfalls der Fall sein, wenn Arbeitnehmende durch ihr privates Verhalten den Ruf des Unternehmens schädigen oder ihre Rücksichtnahmepflichten verletzen.

Damit Arbeitgeber:innen mit arbeitsrechtlichen Mitteln auf außerdienstliche Meinungsäußerungen reagieren können, müssen diese aber einen dienstlichen Bezug aufweisen. Ein solcher dienstlicher Bezug ist beispielsweise denkbar, wenn Beschäftigte in Dienstkleidung, die die Arbeitgeber:innen erkennen lässt, aktiv an einer rechtsradikalen Kundgebung teilnehmen und dabei der Eindruck erweckt wird, die Arbeitgeber:innen haben diese Aktivitäten gebilligt oder teilen diese Ansichten (LAG Sachsen, Urteil vom 27.02.2018 – 1 Sa 515/17). Sofern Arbeitnehmende im Privatbereich rechtsradikale Tendenzen offenbaren, bedarf es jedoch einer genauen Abwägung, inwiefern die privaten Äußerungen in das Arbeitsverhältnis durchschlagen.

c. Äußerungen in Social Media

Ob Äußerungen in den Sozialen Medien eine Kündigung rechtfertigen, stellen sich folgende Fragen:

  • Besteht ein Bezug zu Arbeitgeber:in (Stichwort Rufschädigung und arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht)?
  • Berufliches Netzwerk wie LinkedIn oder privates Netzwerk?
  • Welcher Grad der Öffentlichkeit wird erreicht?

d. LAG Sachsen, Urteil vom 27.02.2018 – 1 Sa 515/17

Straßenbahnfahrer veröffentlicht ausländerfeindliche Texte und Bilder auf seinem Facebook Account, auf dem er ein Bild von sich in Dienstkleidung abbildete und die Arbeitgeberin angab.

  • Bild einer meckernden Ziege mit einer Sprechblase mit den Worten "Achmed, ich bin schwanger."

Der Bezug zum Arbeitsverhältnis liegt darin, dass der Kläger sich auf der Internet-Plattform öffentlich neben dem Ziegenbild in seiner Uniform als Straßenbahnschaffner und unter seinem Namen abbilden ließ. Damit ist für jeden Betrachter klar geworden, dass der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten ist und seine menschenverachtende Haltung in Bezug zur Beklagten darstellte. Den Bezug dieser Schmähkritik gegenüber türkischen Ausländern musste die Beklagte nicht hinnehmen. Dadurch sind erhebliche Interessen der Beklagten beeinträchtigt worden. Die Beeinträchtigung liegt darin, dass die Beklagte durch diesen Bezug auch in die Nähe der Ausländerfeindlichkeit, wenn nicht gar des Ausländerhasses gesetzt wurde (Urteil, S. 4). Arbeitnehmer musste damit rechnen, dass dieses Verhalten nicht tolerieren würde und ohne Abmahnung eine außerordentliche Kündigung drohte.

Das LAG hat hier offensichtlich auch einfließen lassen, dass der Arbeitgeber als Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs erheblich auf eine positive Außenwirkung angewiesen ist und die Äußerung bereits in den lokalen Medien umfassend thematisiert wurde. Unabhängig von solchen Einzelfällen bedarf es aber weiterhin eines erheblichen Begründungsaufwandes für eine außerordentliche Kündigung aufgrund fremdenfeindlicher Äußerungen (Kommentar zu diesem Urteil von Rechtsanwalt Becker).

e. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2023 - 2 AZR 17/23

Private Chatgruppe (mit Kolleg:innen), in der in beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und Arbeitskollegen gesprochen wurde.

Das BAG stufte die Annahme des LAG Niedersachsen, hier habe eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Arbeitnehmers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen vorgelegen, als rechtsfehlerhaft ein. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nach Auffassung des BAG nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

f. Besonderheit bei Tendenzbetrieben und Tendenzträger:innen

Tendenzträger:innen sind verpflichtet, nicht nur bei ihrer Arbeitsleistung, sondern auch im außerbetrieblichen Bereich nicht gegen die Tendenz, d.h. die grundsätzlichen Zielsetzungen des Unternehmens, zu verstoßen.

Beispiel: siehe Urteil des LAG Berlin-Brandenburg aus 2024 (antisemitische Äußerungen eines Redakteurs als Tendenzträger bei der Deutschen Welle).

i. Was ist ein Tendenzbetrieb?

Tendenzbetriebe sind solche, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Anwendung findet, dienen.

ii. Wer ist Tendenzträger:in?

Für Arbeitnehmer:innen in Tendenzunternehmen können besondere Anforderungen an ihre Verhaltenspflichten bestehen. Dies ist bei den sog. Tendenzträger:innen der Fall. Beschäftigte sind Tendenzträger:innen, wenn die Bestimmungen und Zwecke des jeweiligen in § 118 Abs. 1 S. 1 BetrVG genannten Unternehmens oder Betriebs für ihre Tätigkeit inhaltlich prägend sind. Dies setzt voraus, dass sie die Möglichkeit haben, in einer bestimmenden Weise auf die Tendenzverwirklichung Einfluss zu nehmen. Eine bloße Mitwirkung bei der Tendenzverfolgung genügt dafür nicht (BAG 14.5.2013 – 1 ABR 10/12). Tendenzträger:in ist insbesondere verpflichtet, sowohl bei der Arbeitsleistung als auch im außerdienstlichen Bereich nicht gegen die Tendenz des Unternehmens zu verstoßen. Tendenzträger:in hat sich dabei solcher Äußerungen und Handlungen zu enthalten, die der Tendenz des Unternehmens nachhaltig zuwiderlaufen und damit betriebliche Interessen des Unternehmens erheblich berühren (BAG 23.10.2008 – 2 AZR 483/07). Bei Zuwiderhandlungen kann eine personenbedingte Kündigung oder verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.

iii. BAG, Urteil vom 23.10.2008 – 2AZR 483/07

„Grundsätzlich hat die Stellung als Tendenzträger Auswirkungen auf das arbeitsvertragliche Pflichtengefüge. Es bestehen gesteigerte Rücksichtnahmepflichten für einen Tendenzträger. Er ist insbesondere verpflichtet, sowohl bei seiner Arbeitsleistung als auch im außerbetrieblichen Bereich nicht gegen die Tendenz, d.h. die grundsätzlichen Zielsetzungen des Unternehmens, zu verstoßen […].

Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Tendenz, insbesondere solchen, bei denen der Tendenzträger offensichtlich und erheblich gegen die der unternehmerischen Betätigung zu Grunde liegenden Grundrechts- und Verfassungswerte verstößt und deshalb nicht mit einer entsprechenden Billigung seiner Handlungen und Äußerungen durch den Tendenzarbeitgeber rechnen kann, kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund – auch ohne Abmahnung – in Betracht kommen (BAGE 107, 204 = NZA 2004, 501; vgl. auch KR-Fischermeier, 8. Aufl., § 626 BGB Rdnrn. 121ff.).“

4. Besonderheiten bei öffentlichen Arbeitgeber:innen

Im öffentlichen Dienst fungiert der Staat als Arbeitgeber, welcher zu politischer Neutralität und zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Ordnung verpflichtet ist. Diese Pflicht ist zu einem gewissen Grad auch Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Damit kann im Einzelfall beispielsweise das aktive Engagement im privaten Bereich für eine verfassungsfeindliche Partei kollidieren. Eine bloße NPD-Mitgliedschaft genügt aber selbst im öffentlichen Dienst nicht als Kündigungsgrund. (Haufe)

Ggf. übertragbar auf private Institutionen, die staatliche Zuwendungen erhalten. Welche Anforderungen stellt Zuwendungsgeber:in diesbezüglich? Sind die Zuwendungen abhängig von einer Verpflichtung der Institution zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung, kann diese die Pflicht ggf. auf Arbeitnehmende übertragen. Könnte man diskutieren. Rechtsprechung hierzu nicht bekannt.

5. Abmahnung als Voraussetzung einer verhaltensbedingten Kündigung

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist in der Regel erst nach einer Abmahnung (milderes Mittel) möglich.

Bei Pflichtverletzungen, die auf steuerbarem Verhalten beruhen, begründet der Ausspruch einer in Folge einer Pflichtverletzung ausgesprochenen konkreten Abmahnung im Wiederholungsfalle in der Regel die negative Prognose, die für den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung erforderlich ist. Eine Abmahnung liegt vor, wenn Arbeitgeber:in in einer für Arbeitnehmende deutlich erkennbaren Art und Weise konkrete Leistungsmängel beanstandet und damit den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfalle seien Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet.

Mit der Abmahnung sollen Arbeitnehmende an die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten erinnert (Hinweisfunktion) und vor Konsequenzen bei weiterem Fehlverhalten gewarnt werden (Warnfunktion).

Teilweise ist eine Abmahnung entbehrlich, wenn die erstmalige Hinnahme der Pflichtverletzung Arbeitgeber:in nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für Arbeitnehmende erkennbar - ausgeschlossen ist, weshalb eine vorherige Abmahnung entbehrlich ist.

a. Vorweggenommene Abmahnung

Dies ist der (anlasslose) Hinweis durch Arbeitgeber:in an Arbeitnehmende, dass ein bestimmtes, näher bezeichnetes Verhalten nicht geduldet wird und im Falle einer Zuwiderhandlung arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung drohen.

Das Ziel einer vorweggenommenen Abmahnung ist es, dass im Fall eines Fehlverhaltens eine dieses konkrete Verhalten betreffende Abmahnung nicht mehr nötig ist, sondern auch ohne (weitere) Abmahnung eine Kündigung wirksam ausgesprochen werden kann.

In der Regel kann eine vorweggenommene Abmahnung die Abmahnung nach Pflichtverletzung nicht ersetzen. Ausnahmsweise reicht die vorweggenommene Abmahnung dann, wenn sich die Pflichtverletzung letztlich unter Berücksichtigung des vorweggenommenen Fingerzeigs als beharrliche Arbeitsverweigerung herausstellt (LAG Hamm, NZA-RR 1999, 76). Denn eine solche würde die nötige negative Prognose rechtfertigen.

Vorschläge, um eine Abmahnung nach der Pflichtverletzung möglichst entbehrlich zu machen. Dies sind Ideen, um die strengen Anforderungen der Rechtsprechung zu erfüllen. Ob dies am Ende ausreicht, entscheiden die Gerichte:

  • Regelmäßiger Hinweis an Beschäftigte (vorweggenommene Abmahnung wenigstens einmal jährlich wiederholen)
  • Ist eine möglicherweise  bevorstehende Pflichtverletzung erkennbar, sollte der Hinweis unmittelbar erneut erfolgen, sodass die dann tatsächlich zeitnah folgende Pflichtverletzung der Arbeitnehmenden aus Sicht besonnener Arbeitgeber:innen als beharrliche Arbeitsverweigerung angesehen werden muss.

b. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.06.2017 (5 Sa 5/17)

„Eine so genannte vorweggenommene Abmahnung durch Aushang am „Schwarzen Brett“,

Rundschreiben oder im Arbeitsvertrag, mit welchem der Arbeitgeber darauf hinweist, dass er ein bestimmtes, näher bezeichnetes Verhalten nicht duldet und für den Fall der Pflichtwidrigkeit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ankündigt, genügt grundsätzlich nicht den Anforderungen einer Abmahnung (Schaub/Linck, ArbR-Hdb, 15. Aufl., § 132 Rn. 18).

Die vorweggenommene Abmahnung enthält lediglich den generellen Hinweis des Arbeitgebers, dass bestimmte, in der Regel genau bezeichnete Pflichtverletzungen, zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen von einer Ermahnung bis hin zur fristlosen Kündigung führen können. Die von einer vorweggenommenen Abmahnung ausgehende Warn- und Hinweisfunktion ist nicht vergleichbar mit derjenigen, die von einer konkreten förmlichen Abmahnung ausgeht. Dies wird auch daran deutlich, dass mit zunehmender Dauer und beanstandungsloser Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Warnfunktion einer Abmahnung an Gewicht verliert. So kann es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung einer erneuten Abmahnung bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt wäre (BAGE 142, 331 = NZA 2013, 611 Abmahnung Nr. 34 Rn. 20; BAGE 157, 153 = NZA 2017, 91 = NJW 2013,

183 = NJW 2017, 808 = AP BGB § 906 = AP GewO § 106 Nr .31 Rn. 10). Anders als bei einer förmlichen Abmahnung kann im Anschluss an eine vorweggenommene Abmahnung in der Regel gerade nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer danach begangenen erneuten Pflichtverletzung eine negative Prognose gegeben ist (LAG Düsseldorf, Urt. v. 15.8.2012 – 12 Sa 697/12, BeckRS 2012, 76085). Eine solche vorweggenommene Abmahnung kann eine Abmahnung nach Tatbegehung ausnahmsweise dann ersetzen, wenn sich die Pflichtverletzung letztlich unter Berücksichtigung des vorweggenommenen Fingerzeigs als  beharrliche Arbeitsverweigerung herausstellt (LAG Hamm, NZA-RR 1999, 76). […] Eine vorweggenommene Abmahnung kann nur dann eine konkrete Abmahnung nach Tatbegehung ersetzen, wenn der Arbeitgeber diese bereits in Ansehung einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung ausspricht, sodass die dann tatsächlich zeitnah folgende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers aus Sicht eines besonnenen Arbeitgebers als beharrliche Arbeitsverweigerung angesehen werden muss.“

6. Druckkündigung als letztes Mittel (hohe Anforderungen)

Es gibt zwar Arten der Druckkündigung:

Unechte Druckkündigung: Dritte (z.B. Kolleg:innen, Kund:innen) verlangen die Kündigung und es liegt ein Kündigungsgrund vor. Dann kann das Verlangen der Dritten im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden.

Echte Druckkündigung:  Dritte (z.B. Kolleg:innen, Kund:innen) verlangen die Kündigung ohne dass ein Kündigungsgrund vorliegt. Hier ist eine Kündigung nur im Ausnahmefall möglich und muss im Einzelfallgeprüft werden.

Hierzu beispielhaft aus der Literatur: MüKoBGB/Hergenröder, 9. Aufl. 2023, KSchG § 1 Rn. 299, beck-online:

„Verlangen Dritte (zB Arbeitskollegen, Betriebsrat, Gewerkschaft, Kreditgeber oder Kunden) unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber, wie zB einer Eigenkündigung oder Nichterteilung eines Auftrages, die Kündigung eines Arbeitnehmers, so handelt es sich um eine Druckkündigung. Ob sie sozial gerechtfertigt ist, hängt nicht in erster Linie davon ab, ob Dritte die Kündigung fordern, sondern ob einer der in § 1 Abs. 2 aufgezählten Gründe für eine Kündigung tatsächlich vorliegt. Ist dies der Fall, so kann der Arbeitgeber, unabhängig von dem auf ihn ausgeübten Druck, entscheiden, ob er aus dem tatsächlich vorliegenden Grund kündigen möchte oder nicht. Es handelt sich dann um eine unechte Druckkündigung. Die vom Dritten geschaffene Drucksituation kann in solchen Fällen höchstens bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen. Liegt hingegen objektiv kein Kündigungsgrund vor und wird vom Arbeitgeber die Kündigung des Arbeitnehmers unter Drohung mit Nachteilen verlangt (echte Druckkündigung), so hat der Arbeitgeber zunächst zu versuchen, die Drohungen durch andere Maßnahmen abzuwenden. Er muss sich schützend vor den Arbeitnehmer stellen, wobei aktives Handeln zu verlangen ist.“