1. Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG
Die Einkommenssteuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG kam laut Rechtsprechung bislang nur für Zuwendungen in Frage, die sachliche Aufwendungen oder die Bezahlung von Hilfskräften förderten. Nicht erfasst von § 3 Nr. 11 EStG waren „Eigenhonorare“ der Künstler:innen. Im Zeichen der Corona-Pandemie gibt es jüngst aber Beispiele, dass die Verwaltung – in Hessen sogar ausdrücklich – die Norm auch für „Eigenhonorare“ zur Anwendung bringt und diese steuerfrei behandelt.
Hierzu sind zwei erstinstanzliche Urteile des Finanzgerichtes Berlin-Brandenburg aus 2022 zur Konkretisierung der Begriffe Aus- oder Fortbildung interessant.
1.1 FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.11.2022 – 10 K 10005/22
In einem Urteil von November 2022 entschied das Finanzgericht Berlin-Brandenburg, dass ein Arbeits- und Recherchestipendien für einen Autor nicht unter § 3 Nr. 44 EStG fällt. Es handele sich nicht um eine Fortbildung, sondern um ein Stipendium zur Sicherung der bestehenden Arbeitspraxis. Somit war das Stipendium steuerbar (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.11.2022 – 10 K 10005/22). Das FG konkretisierte, dass Stipendien, die der Sicherung der künstlerischen Praxis während der Covid-Pandemie dienten, nicht unter den Begriff von künstlerischer Ausbildung oder Fortbildung i.S.d. § 3 Nr. 44 EStG fallen. Es führt aus:
Unter dem Begriff der „Fortbildung” sind Maßnahmen zu verstehen, die darauf gerichtet sind, in einem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden […]. Ein Hinweis auf einen solchen Fortbildungszweck lässt sich den eingereichten Unterlagen […] nicht entnehmen. […] [B]etreffend das Ziel der Vergabe der Sonder-Stipendien [wird] ausgeführt, dass die „künstlerische und kuratorische Praxis professioneller Berliner Künstler*innen Kurator*innen gefördert werden und ein Beitrag zur Abfederung der Covid-19-bedingten Einschränkungen im Kultubereich geleistet werden“ solle. Dies lässt lediglich darauf schließen, dass ein finanzieller Zuschuss zur Ermöglichung der Fortführung der künstlerischen und kuratorischen Tätigkeit trotz der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie beabsichtigt war.
1.2 FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.03.2022 – 16 K 2083/20
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat außerdem im Fall eines Lehramtsstudienstipendium entschieden, dass dieses zu versteuern sei (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.03.2022 – 16 K 2083/20). Hierbei ging es konkret um die Frage, ob der Zweck des Stipendiums in der Aus- oder Fortbildung lag. Die Zuwendungsempfänger:in erhielt ein Stipendium und verpflichtete sich nach Ablauf ihres Studiums als Lehrer:in tätig zu werden. Andernfalls wäre das Stipendium nachträglich zurück zu zahlen gewesen. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass Zweck des Stipendiums nicht die Förderung von Arbeitsmitteln war, sondern ausschließliche oder teilweise der Deckung des Lebensunterhaltes diente. Die Zuwendungsempfänger:in vertrat die Auffassung, dass der Zweck in der Förderung der wissenschaftlichen Aus- und Fortbildung liege, welcher die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr. 44 EStG erfülle. Im Unterschied zu der überwiegenden Mehrheit von Künstler:innen-Stipendien verpflichtete sich die Zuwendungsempfänger:in jedoch zu einer in der Zukunft liegenden Leistung als Arbeitnehmer:in. Trotzdem ist das Urteil dahingehend interessant, dass das FG entschied, dass § 3 Nr. 44 EStG nicht einschlägig sei, da ein gegenseitiger Vertrag vorgelegen hätte und die Stipendienbedingungen nicht vorgeschrieben hätten, für welche Ausgaben (Studienausgaben oder allgemeine Lebenshaltungskosten) das Stipendium dienen sollte. Offen blieb die Frage, ob die Versteuerung als Arbeitseinkommen oder als sonstige Einkünfte zu erfolgen hat. Die Kläger:in ist in Revision gegangen (BFH – VI R 13/22 (anhängig)). Es bleibt abzuwarten, ob auch der BHF § 3 Nr. 44 EStG al nicht einschlägig sieht.
2. Steuerfreiheit der Stipendien der Verwertungsgesellschaften im Rahmen von Neustart Kultur
Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) behandelt, nach uns vorliegenden Mails, in Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden die Stipendien aus dem Stipendienprogramm der Verwertungsgesellschaften im Rahmen des Förderprojektes „Neustart Kultur“ gem. § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei. Eine entsprechende Mitteilung sei an die zuständigen lokalen Finanzämter ergangen. Die Bewertung gilt jedoch zunächst ausschließlich für die Stipendienprogramm der Verwertungsgesellschaften VG Wort, VG Bild-Kunst, GVL und GEMA, die im Rahmen von „Neustart Kultur“ ausgezahlt wurden.
3. Kein Fall von § 3 Nr. 44 EStG
Interessant ist auch, dass das BMF mitteilte, dass eine Steuerfreiheit nach von § 3 Nr. 44 EStG nicht in Frage komme. Grundlegend ist es so, dass wenn die als Stipendium bezeichnete Förderung auch einen Teil des eigenen Honorars des:der Künstler:in umfasst und damit Kosten für die private Lebensführung zuwendet, für die Einkommenssteuerbefreiung auch § 3 Nr. 44 EStG in Betracht kommt. Mehr zu diesem Thema findet sich in unserem Merkblatt. Das MBF teilte mit, dass es sich bei den Stipendien der Verwertungsgesellschaften weder um eine Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung noch um die Förderung einer Fortbildung handele. Sind und Zweck der Stipendien sei es Künstler:innen in der Pandemiezeit in ihrer bisherigen Arbeit zu unterstützen.
4. Forderung von Künstler:innen
Während die Rechtsprechung Arbeitsstipendien bisher nicht unter den Wortlaut von § 3 Nr. 11 oder § 3 Nr. 44 EStG subsumiert, wendet die Praxis diese an und kommt teilweise zur Beurteilung, dass Arbeitsstipendien steuerfrei sein können. Durch die Ausschüttung von unterschiedlichen Förderprogrammen der BKM wegen der Covid-Pandemie und damit verbundenen unterschiedlichen Bewertungen der Gerichte und Finanzverwaltung, ist das Thema Steuerfreiheit von Künstler:innen-Stipendien virulent geworden. Damit zusammen hängen andere kulturpolitische Fragen. Stipendien haben für die Kulturförderung eine wachsenden Bedeutung, um die prekäre Situation vieler Künstler:innen zu verbessern und bspw. die Recherchearbeit als unverzichtbaren Teil der Arbeit anzuerkennen und zu fördern. Die Frage der Steuerfreiheit hängt auch mit anderen Fragen zusammen wie bspw. der Beziehung von Sozialleistungen. Einige Künstler:innen wünschen sich daher mehr Rechtssicherheit und fordern, dass § 3 Nr. 44 EStG Arbeitsstipendien aufgrund veränderter Arbeitsprozesse umfasst oder das Wort „unmittelbar“ aus § 3 Nr. 11 EStG gestrichen wird.