Hospitanz und Mindestlohn

Fallen Hospitant*innen unter den Mindestlohn? Meistens dürfte es sich bei sog. „Hospitant*innen“ um Praktikant*innen handeln. Diese fallen grundsätzlich unter den Mindestlohn. Insbesondere bei Hospitant*innen, die das Praktikum nicht im Rahmen eines in der Studienordnung vorgeschriebenem Pflichtpraktikums machen und bei denen das Praktikum länger als drei Monate dauert, ist Vorsicht geboten. Bei Unsicherheiten gibt es die Möglichkeit bei der Rentenversicherung ein sog. Statusfeststellungsverfahren zu machen und anzufragen, ob es sich bei dem konkreten Beschäftigungsverhältnis um ein solches handelt, bei dem der Mindestlohn zu entrichten ist (also, ob es sich um ein sog. sozialversicherungspflichtiges Praktikum handelt).

Im Einzelnen:
Mehr als 70 Jahre nachdem Luxemburg 1944 als erstes europäisches Land den Mindestlohn eingeführt hat, gilt seit dem 01.07.2022 nun auch in Deutschland ein Mindestlohn in Höhe von EUR 10,45 pro Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns wird in regelmäßigen Abständen angepasst.

Das Mindestlohngesetz (MiLoG) enthält bislang noch einige Ausnahme- und Sonderregelungen. Bieten diese auch Schlupflöcher für den Bereich Theater? Ein*e Hospitant*in – der oder die lediglich eine beobachtende Position hat – dürfte kein*e Arbeitnehmer*in sein und unterliegt damit nicht dem Mindestlohn. Ausschlaggebend für diese Einordnung ist aber nicht die Bezeichnung als Hospitanz, sondern die tatsächliche Aufgabenwahrnehmung (vgl. BAG, 12.09.1996, 5 AZR 1066/94; BAGE 84, 108 = AP BGB § 611 Nr. 1 = EzA BGB § 611 Nr. 58). Wer tatsächlich Arbeitnehmer*in ist, hat unabhängig von der Bezeichnung seiner Position, Anspruch auf den Mindestlohn. Ein Arbeitnehmer*innen- bzw. ein Arbeitsverhältnis liegen vor, wenn die Person einer Verpflichtung zu weisungsgebundener Tätigkeit unterliegt und sie fest in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebenden eingebunden ist. Betroffen vom Weisungsrecht müssen vor allem Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit sein (vgl. BAG, 13.03.2003, 6 AZR 564/01).

Wie verhält es sich also mit sogenannten Hospitant*innen? Nachfolgend seien einige Varianten erörtert.

1. Praktikant*innen

Anders als ein*e Arbeitnehmer*in zeichnet sich ein*e Praktikant*in (§ 26 BBiG i. V. m. §§ 10-23, 25 BBiG) dadurch aus, dass er oder sie über einen begrenzten Zeitraum in einem Betrieb eine bestimmte Tätigkeit ausübt, um praktische Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln und sich somit auf spätere berufliche Tätigkeiten vorzubereiten (vgl. § 22 I 3 MiLoG). Ein Praktikum ist kein Probearbeitsverhältnis. Der vorübergehende, berufsvorbereitende Ausbildungszweck und das gegenseitige Kennenlernen stehen im Vordergrund.

Grundsätzlich steht auch Praktikant*innen der gesetzlich geltende Mindestlohn pro Stunde zu. Etwas anderes gilt allerdings für die in § 22 I 2 Nr. 1-4 MiLoG geregelten Ausnahmen.

  • Ausgenommen sind beispielsweise Schüler*innen und Studierende, welche im Rahmen ihrer jeweiligen Ausbildung ein Pflichtpraktikum absolvieren (§ 22 I Nr. 1 MiLoG).
  • Praktikant*innen, welche ein Praktikum als Orientierung für oder begleitend zu ihrer Berufs- oder Hochschulausbildung ableisten, werden nicht vom MiLoG erfasst, solange der Beschäftigungszeitraum nicht mehr als drei Monate beträgt (§ 22 I Nr. 2, 3 MiLoG). Hier ist zu beachten, dass Praktikant*innen, welche bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen abgeschlossenen Studienabschluss haben, von Anfang an in Mindestlohnhöhe vergütet werden müssen.
  • Dient das Praktikum als eine von der Arbeitsagentur geförderte Möglichkeit Einstiegsqualifikationen zu erwerben oder zur Vorbereitung auf die Berufsausbildung, so steht dem Praktikanten oder der Praktikantin eine Vergütung in Höhe von EUR 10,45 stündlich nach dem MiLoG nicht zu (vgl. § 22 I Nr. 4 MiLoG i. V. m. § 54a SGB III und §§ 68 bis 70 BBiG).

Soll einer der Ausnahmefälle in Anspruch genommen werden, ist darauf zu achten, dass der oder die Praktikant*in tatsächlich dementsprechend arbeitet, nicht aber wie ein*e Arbeitnehmer*in. Es sollte also vermieden werden, dass der oder die vermeintliche Praktikant*in Tätigkeiten verrichtet, die sonst Angestellte erledigen und ihn weisungsgebunden in den Betrieb einzugliedern. In diesem Falle läge ein Scheinpraktikum vor, was letztlich wie ein Arbeitsverhältnis zu bewerten (und mit dem Mindestlohn zu vergüten) ist. Wichtig ist also, dass die Ausbildung und das gegenseitige Kennenlernen stets im Vordergrund der Praktikumstätigkeit stehen.

2. Ehrenamtlich Tätige

Auch bei der Vergütung von ehrenamtlich Tätigen gibt es Ausnahmen vom Mindestlohn.

Ehrenamtlich Tätige stehen in keinem Arbeitsverhältnis, sondern werden freiwillig für das Gemeingut tätig (vgl. § 22 III Alt. 2 MiLoG). Es handelt sich um ein Auftragsverhältnis im Sinne der §§ 662 ff. BGB. Bei einem solchen wird die beauftragte Person für den oder die Auftraggeber*in unentgeltlich tätig (§ 662 BGB). Vorausgesetzt wird ein Fehlen der Erwerbsabsicht zugunsten altruistischer Motive (Abgrenzung zum Arbeitsverhältnis, vgl. BAG, Urteil vom 26.09.2002 – 5 AZB 19/01, DB 2003, 47, 48). Es besteht lediglich die Möglichkeit der Vergütung in Form eines Aufwendungsersatzes nach vorheriger Vereinbarung (§ 670 BGB). Im Bereich einer wirtschaftlich tätigen Theatergruppe wird man daher in der Regel bei einem oder einer Hospitant*in nicht von einer ehrenamtlichen Tätigkeit ausgehen können.

3. Hospitationen

Hospitationen dürften grundsätzlich nicht vom Mindestlohngesetz erfasst sein. Ein Hospitant oder eine Hospitantin ist zu Besuch in einem Betrieb, beispielsweise einem Theater. Ziel einer Hospitation ist es, Eindrücke von der Tätigkeit in einem bestimmten Berufsfeld zu sammeln. Der oder die Hospitierende beobachtet, hält sich passiv im Hintergrund oder kann probeweise mitarbeiten. Üblicherweise sind die sich als Hospitant*innen bezeichnenden Personen nicht nur beobachtend tätig, sondern arbeiten aktiv an der Produktion mit. Eine Hospitation im arbeitsrechtlichen Sinne liegt daher in der Regel nicht vor.

4. Freie Mitarbeiter*innen

Den oder die freie*n Mitarbeiter*in zeichnet vor allem seine oder ihre persönliche Unabhängigkeit aus.

Er oder sie kann Selbstständiger oder Arbeitnehmer*in sein und aufgrund eines Dienst- (§ 611 BGB) oder Werkvertrages (§ 631 BGB) Aufträge für einen Betrieb ausführen ohne fest in diesen eingegliedert zu sein.

Er oder sie trägt die Unternehmenschancen als auch die damit verbundenen Risiken selbst. Des Weiteren verfügt er oder sie über seine bzw. ihre eigene Arbeitskraft und gestaltet seine Tätigkeit und Arbeitszeit im Wesentlichen frei (vgl. LSG, 08.11.2011, Az L 5 R 858/09). Eine Eingliederung in die Organisationsstruktur des Auftraggebenden findet in der Regel nicht statt. Eigene Entfaltungsmöglichkeiten sind stark ausgeprägt.

Die Bezahlung einer freien Mitarbeiterin oder eines freien Mitarbeiters kann stundenweise (i. d. R. bei Honorar- oder Dienstvertrag) oder pauschal (i. d. R. bei Werkvertrag) erfolgen.

Wird ein*e freie*r Mitarbeiter*in, nehmen wir an ein*e Schauspieler*in, ausschließlich oder überwiegend für eine*n Auftraggeber*in tätig, ist von einem Arbeitsverhältnis und somit einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit auszugehen, mit der Folge, dass eine Freie Mitarbeiterschaft zu verneinen ist.

Wenn der oder die vermeintlich „Freie Mitarbeiter*in“ weisungsabhängig ist und wie ein*e Arbeitnehmer*in in den Betrieb eingegliedert ist, spricht man von Scheinselbstständigkeit.

Fazit: Abschließend lässt sich demnach sagen, dass es sich bei den am Theater üblicherweise als Hospitant*innen bezeichneten Personen in der Regel um Praktikant*innen handelt, mit der Folge, dass der Mindestlohn bei Praktika, die länger als 3 Monate andauern, zu zahlen ist. Im Einzelfall ist es geboten, bei der Rentenversicherung ein sog. Statusfeststellungsverfahren durchzuführen.